
Das Ringen um die Kunstsammlung Gurlitt und der Streit um den Suhrkamp Verlag, die Aussicht auf ein Museum der Moderne und der Abschied von Siegfried Lenz - für die Kulturwelt war 2014 ein ungewöhnlich turbulentes Jahr.
1. KUNSTKRIMI I: Nach monatelangen Verhandlungen nimmt das Kunstmuseum Bern das umstrittene Erbe des Münchner Kunstsammlers Cornelius Gurlitt an.
Allerdings: Alle unter NS-Raubkunstverdacht stehenden Bilder - rund 500 - bleiben zur weiteren Abklärung in Deutschland. Bestätigt sich ein Verdacht, soll das Werk «ohne Wenn und Aber» an den
rechtmäßigen Besitzer zurückgehen. Die Klage einer betagten Cousine gegen Gurlitts Testament könnte die Vereinbarung bis weit ins nächste Jahr blockieren.
2. KUNSTKRIMI II: Im Juni wird Helge Achenbach, Deutschlands bekanntester Kunstberater, verhaftet. Er soll betuchte Sammler durch überhöhte Preise um Millionen betrogen haben. Die Familie des 2012 gestorbenen Aldi-Erben Berthold Albrecht fordert in einem Zivilverfahren fast 20 Millionen Euro Schadenersatz. Achenbachs Firmen sind inzwischen insolvent. Ihm drohen außerdem bis zu zehn Jahren Gefängnis.
3. HAUSFRIEDEN: In einem beispiellosen juristischen Hick-Hack kann Suhrkamp-Chefin Ulla Unseld-Berkéwicz durchsetzen, dass das traditionsreiche Haus im Zuge eines Insolvenzverfahrens von einer Kommandit- in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden darf. Die Witwe des einstigen Firmenpatriarchen Siegfried Unseld will damit ihren langjährigen Widersacher, den Miteigentümer Hans Barlach, entmachten.
4. BÜCHEREHREN: Der Literaturnobelpreis macht den bis dahin eher als Geheimtipp gehandelten französischen Schriftsteller Patrick Modiano (69) auf einen Schlag weltweit bekannt - als virtuosen Spurensucher in dunklen Vergangenheiten, oft in dem von den Nazis besetzten Paris. Der Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an den Autor Lutz Seiler (51) für seinen Roman «Kruso». Den Georg-Büchner-Preis erhält der Schriftsteller Jürgen Becker (82) als «maßgebliche Stimme der zeitgenössischen Poesie».
5. KINOPREIS I: Erstmals gewinnt ein schwarzer Regisseur den Oscar für den Besten Film: Der Brite Steve McQueen wird für das Sklavendrama «12 Years a Slave» ausgezeichnet. Die Schauspiel-Oscars gehen an Cate Blanchett und Matthew McConaughey. Bei der Berlinale holt der chinesische Krimi «Bai Ri Yan Huo» (Schwarze Kohle, dünnes Eis) von Yinan Diao den Goldenen Bären. Der Deutsche Filmpreis («Goldene Lola») wird dem 82-jährigen Autorenfilmer Edgar Reitz für sein Auswanderer-Epos «Die andere Heimat» zugesprochen.
6. KINOPREIS II: Das Bundesverfassungsgericht erklärt die deutsche Filmförderung für rechtens. Es widerspreche nicht dem Grundgesetz, dass Kinos, Fernsehsender und Videowirtschaft die Förderung des deutschen Films über ein Abgabe mitfinanzieren müssen, befinden die Richter im Januar. Sie weisen damit vier Verfassungsbeschwerden großer Kinoketten ab. Wermutstropfen für die Branche: Der vom Bund zusätzlich finanzierte Filmförderfonds wird im kommenden Jahr 50 statt 60 Millionen Euro betragen.
7. SO EIN THEATER: Das Berliner Maxim Gorki Theater schafft es unter seiner neuen Leitung von Shermin Langhoff und Jens Hillje auf Anhieb zum Theater des Jahres. Die deutschsprachigen Theaterkritiker wählen die Bühne auf Platz eins ihrer jährlichen Bestenliste. Oper des Jahres wird die Bayerische Staatsoper in München unter Leitung von Intendant Nikolaus Bachler. Maßgeblichen Anteil am Erfolg schreiben die Kritiker dem neuen Generalmusikdirektor Kirill Petrenko zu.
8. AUSVERKAUF: Die Versteigerung von zwei Warhol-Werken durch einen NRW-eigenen Casino-Betreiber alarmiert die Kunstwelt. Jetzt sei die Büchse der Pandora geöffnet, der Ausverkauf öffentlicher Kunst zur Sanierung maroder Haushalte drohe, fürchtet der Kulturrat. Auch sonst spielt die Kunstwelt verrückt. Christie's setzt an einem einzigen Abend in New York fast 700 Millionen Euro um, Konkurrent Sotheby's verkauft eine Giacometti-Skulptur für 100 Millionen Dollar. Konstante: Gerhard Richter bleibt im Ranking «Kunstkompass» wichtigster Künstler der Gegenwart.
9. ZUSAGE: Trotz des allgemeinen Sparkurses bewilligen die Finanzpolitiker des Bundestags 200 Millionen Euro für ein Neues Museum der Moderne in Berlin. Auf 14 000 Quadratmetern soll es Bestände der Neuen Nationalgalerie sowie die Privatsammlungen Pietzsch, Marx und Marzona aufnehmen. Marx und Pietzsch hatten einen Museumsneubau zur Bedingung erklärt, um ihren hochkarätigen Besitz den Staatlichen Museen zu überlassen.
10. EINHEIT AUF EIS: Im 25. Jahr des Mauerfalls dümpelt die Arbeit am Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin weiter vor sich hin. Historische Mosaike im Denkmalsockel und ein dort lebendes Völkchen seltener Wasserfledermäuse sorgen für Streit zwischen Land und Bund. Inzwischen ist er gelöst. Dennoch bleibt sicher, dass die geplante «Bürgerwippe» auch im Einheitsjahr 2015 noch nicht fertig wird. In Leipzig legt der Stadtrat im Sommer das dort geplante Einheitsdenkmal nach quälenden Debatten vorerst ganz auf Eis.
11. HANDEL OHNE HÜRDEN: Die Verhandlungen um das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA (TTIP) sorgen das ganze Jahr hindurch für Aufregung. Kritiker sehen die kulturelle Vielfalt Deutschlands in Gefahr. Ohne Handelsschranken könnte die amerikanische Unterhaltungsindustrie die deutsche Kulturförderung als ungerecht verklagen oder gar Schadenersatz fordern, fürchten viele Experten. Das Thema geht weiter, Protestinitiativen laufen.
12. DAVID GEGEN GOLIATH: Der Internetriese Amazon bringt mehr als 2000 deutschsprachige Schriftsteller auf die Barrikaden, darunter Juli Zeh, Elfriede Jelinek, Günter Wallraff und Ferdinand von Schirach. In einer Unterschriftenaktion werfen sie dem Online-Händler «unfaire Geschäftspraktiken» vor. Er manipuliere Empfehlungslisten und liefere bestimmte Bücher verlangsamt aus, um höhere Rabatte durchzusetzen, so die Kritik. Wie in den USA wird der Streit zunächst beigelegt, der PEN bleibt skeptisch.
13. ABSCHIEDE I: Das hochehrwürdige Wiener Burgtheater entlässt seinen Intendanten Matthias Hartmann fristlos - er soll von der undurchsichtigen Buchführung des Hauses gewusst haben. Die deutsche Interims-Chefin Karin Bergmann bekommt nach einem halben Jahr Probezeit einen Fünf-Jahres-Vertrag. In Bayreuth wird Skandalkünstler Jonathan Meese als Regisseur der «Parsifal»-Neuinszenierung 2016 gefeuert - Konzept zu teuer, heißt es. In Berlin kann sich derweil der hochgelobte australische Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, über eine Vertragsverlängerung bis 2022 freuen.
14. ABSCHIEDE II: Die Musikwelt verliert 2014 den US-Stardirigenten Lorin Maazel (84), seinen italienischen Kollegen Claudio Abbado (80) und die Folklegende Pete Seeger (94). Schauspielfans trauern um Hollywood-Legende Lauren Bacall (89) und den einstigen US-Kinderstar Shirley Temple (85), um James-Bond-Bösewicht Gottfried John (72), den österreichischen Oscar-Preisträger Maximilian Schell (83) und den Wiener Burgschauspieler Gert Voss (72). Erschütterung lösen der Suizid von Oscar-Preisträger Robin Williams (63) und der Drogentod von US-Leinwandgenie Philipp Seymour Hoffmann (46) aus. Kurz vor Weihnachten sterben Entertainer Udo Jürgend (80) und Woodstock-Legende Joe Cocker (70).
Zu den Toten des Jahres gehören auch die beiden Literaturnobelpreisträger Nadine Gordimer (90) aus Südafrika und Gabriel García Márquez (87) aus Mexiko. Der deutsche Jahrhundert-Schriftsteller Siegfried Lenz («Deutschstunde»), der am 7. Oktober mit 88 Jahren stirbt, hat vor seinem Tod eine Stiftung gegründet. Ihr erstmals verliehener und mit 50 000 Euro dotierter Preis geht an den israelischen Schriftsteller Amos Oz. (DPA)