Die letzte Reise in den Kampfeinsatz

Die Verteidigungsministerin trifft Studentinnen der Politik- und Rechtswissenschaften an der Universität der Provinz Balch, deren Hauptstadt Masar-i-Scharif ist. Foto: John Macdougall
Die Verteidigungsministerin trifft Studentinnen der Politik- und Rechtswissenschaften an der Universität der Provinz Balch, deren Hauptstadt Masar-i-Scharif ist. Foto: John Macdougall

Truppenbesuche von Verteidigungsministern in Afghanistan kurz vor Weihnachten haben Tradition. Als Ursula von der Leyen am Samstagmorgen im Camp Marmal bei Masar-i-Scharif aus ihrem weißen Regierungsflieger steigt, ist aber vieles anders als in den Vorjahren. Das letzte deutsche Feldlager im Norden des Landes hat sich geleert. Derzeit sind noch etwas mehr als 1000 deutsche und rund 800 internationale Soldaten da - etwa ein Drittel des Personals, das zu Spitzenzeiten hier stationiert war.


Auch der Flugplatz, auf dem von der Leyen landet, wirkt verwaist. Die olivgrünen Transall-Transportflugzeuge sind seit zwei Wochen verschwunden. Immerhin eine Aufklärungsdrohne vom Typ «Heron» kann die Ministerin noch über das Flugfeld rollen sehen. Und ein grauer Airbus A310 steht bereit, um weitere Soldaten nach Hause zu bringen.


In drei Wochen endet der Kampfeinsatz der Nato in Afghanistan offiziell. Die Bundeswehr kämpft aber schon seit Monaten nicht mehr. «Wir können es auch gar nicht mehr, eine Kampfmission durchführen», sagt der Kommandeur in Masar-i-Scharif, Brigadegeneral Harald Gante. Fast alles, was man dafür bräuchte, ist schon wieder in Deutschland. Die Kampfhubschrauber «Tiger» sind weg, die Panzerhaubitze 2000 ebenso, und die Schützenpanzer «Marder» auch.


Selbst die Logistik eines Ministerbesuchs ist für die Truppe nicht mehr ganz einfach zu stemmen. Immerhin gibt es noch drei Hubschrauber, die von der Leyen in das nahe gelegene Camp Schaheen der afghanischen Verbündeten bringen können. Der Ausflug wirkt ähnlich gespenstisch wie die Leere im deutschen Feldlager.


Von der Leyen landet in einem «Safe Haven», einem sicheren Hafen, den sich die Isaf für die An- und Abreise ins Camp aufgebaut hat. In den Bereich der Afghanen geht es dann mit massiv gepanzerten Fahrzeugen. Die Angst vor Anschlägen afghanischer Soldaten ist weiterhin groß. 2011 waren in einem deutschen Camp drei Bundeswehrsoldaten von einem afghanischen Soldaten erschossen worden.


Keiner der Soldaten, die von der Leyen trifft, ist bewaffnet. Bei einer Übung für die Ministerin tragen die Afghanen Holzgewehre. 50 ausländische Soldaten, darunter acht Deutsche, bilden in dem Camp afghanische Pioniere aus. Das ist der Kern der neuen Nato-Mission «Resolute Support» (Entschlossene Unterstützung), die am 1. Januar startet: Ausbildung und Beratung. Dafür bleiben bis zu 850 deutsche Soldaten in Masar-i-Scharif und Kabul.


Der afghanische Leiter der Pionier-Schule, Maikhil Ahmadullah, würde sich wünschen, dass die Nato-Partner das Land gar nicht mehr verlassen. «Wir brauchen sie», sagt er. «Alleine gelangt man nie an das Ziel, das man sich vorgenommen hat.»


Von der Leyen kann ihm zwar nicht versprechen, dass die Bundeswehr ewig bleibt. Wann die letzten Soldaten das Land verlassen, sagt sie aber auch nicht, um die Taliban nicht in Sicherheit zu wiegen. Ihre Kompromissformel lautet: Langsames Ausgleiten statt abruptes Ende des Engagements.


Als die Ministerin das Lager wieder verlässt, wird die gepanzerte Kolonne aufgehalten. Eine Nichtregierungsorganisation meldet, es habe in der Nähe der berühmten blauen Moschee in Masar-i-Scharif einen Anschlag mit zwei getöteten afghanischen Polizisten gegeben. Es dauert eine Weile, bis sich herausstellt, dass es sich um einen Fehlalarm handelt.


Die Nervosität ist in diesen Tagen groß bei der internationalen Schutztruppe Isaf. Die Taliban haben seit dem Amtsantritt des neuen Präsidenten Aschraf Ghani ihre Angriffe verstärkt. Erst am Donnerstag sprengte sich ein Jugendlicher während einer Theateraufführung in einer Kabuler Schule in die Luft. Ein deutscher Entwicklungshelfer wurde getötet, ein weiterer Deutscher verletzt.


Für von der Leyen ist das aber kein Grund, den Sinn des Einsatzes der vergangenen 13 Jahre grundsätzlich infrage zu stellen. Im Gegenteil: Nach ihrer Meinung ist man den Opfern eine Fortsetzung des Engagements in anderer Form schuldig: «Auch in ihrem Namen ist es wichtig, den Fortschritt dieses Landes zu begleiten», sagt sie.


Im deutschen Generalkonsulat in Masar trifft sie die Menschen, die sie die «Zukunft Afghanistans» nennt. Es sind Studentinnen der Politik- und Rechtswissenschaften an der Universität der Provinz Balch, deren Hauptstadt Masar-i-Scharif ist.


Die Zahl der Studenten in ganz Afghanistan ist seit dem Sturz der Taliban 2001 von 8000 auf 100 000 gestiegen, die Zahl der Schüler von einer auf acht bis neun Millionen. Das ist das, was von der Leyen Hoffnung gibt. «Ich habe Frauen erlebt, die einen ganz festen Willen haben, aber auch ganz viele Visionen für ihr Land», sagt sie nach dem Treffen mit den Studentinnen.


Vielleicht kann sie irgendwann einmal die Studenten auch an ihrer Universität besuchen. Das war diesmal nicht möglich - aus Sicherheitsgründen. (DPA)