
Das Land streitet mit der Deutschen Bahn um Millionen für den Nahverkehr in Baden-Württemberg. Möglicherweise droht ein Rechtsstreit - den Versuch der Schlichtung hält Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) für gescheitert. Er hatte beklagt, das Land müsse für die Nutzung der Eisenbahntrassen sowie der Bahnhöfe Millionen zu viel bezahlen.
Die Bahn wies die Vorwürfe zurück, Kosten würden zweifach abgerechnet. «Ein doppelter Ausgleich von Mehrkosten liegt nach Auffassung der Deutschen Bahn nicht vor», sagte ein Sprecher des Konzerns in Stuttgart am Donnerstag.
Dagegen klagt Verkehrsminister Hermann, dass die Bahn neben einem pauschalen Plus pro Jahr für steigende Trassen-, Stations- und Energiepreise auch noch den tatsächlichen Mehraufwand geltend mache. Er hat deshalb bis Ende vergangenen Jahres 70 Millionen Euro einbehalten. Über die Gesamtlaufzeit des Verkehrsvertrages zwischen Bahn und Land von 2003 bis 2016 belaufe sich die Überzahlung auf etwa 140 Millionen Euro. Die Bahn bezeichnete die Haltung des Landes als «sehr bedauerlichen» Vorgang. SWR und «Stuttgarter Zeitung» hatten zuerst über den Konflikt berichtet.
Ein Schlichtungsverfahren zu der Streitfrage werde in Kürze formal abgeschlossen, hieß es bei der Bahn. Nach Angaben von Hermann ist die Schlichtung aber bereits ohne Ergebnis zu Ende gegangen, allerdings stehe noch die Genehmigung eines Abschlussprotokolls aus. Die Bahn will hingegen abwarten, zu welchem Ergebnis der Vorsitzende der Schlichtungskommission kommt. Dies ist aber laut Hermann schon bekannt und werde von ihm nicht akzeptiert. Damit sei die Schlichtung gescheitert.
Die Bahn ließ hingegen wissen: «Sollte sich die Rechtsauffassung der Bahn letztlich durchsetzen, wäre dies wegen dann anfallender Verzugszinsen mit einem Millionenschaden zulasten des Landes verbunden.» Das hätte Hermann vermeiden können, wenn die Zahlungen «unter Vorbehalt» geleistet worden wären.
Dies wäre aus Sicht des Ministeriums aber kein mögliches Verfahren gewesen: «Weshalb sollen wir unter Vorbehalt etwas zahlen, für das wir nach unserer Rechtsauffassung gar nicht bezahlen müssen?», sagte ein Sprecher.
Hermann sagte mit Blick auf mögliche juristische Schritte der Bahn: «Die Bahn hat bislang nichts unternommen, um das Geld zu bekommen, deshalb gehen wir davon aus, dass sie das akzeptiert.» Wenn der damalige für den Regionalverkehr zuständige Verkehrsstaatssekretär Stefan Mappus (CDU) nun behaupte, nichts mit dem sogenannten großen Verkehrsvertrag zu tun zu haben, sage er entweder die Unwahrheit oder leide an Gedächtnisverlust, meinte Hermann. Denn es gebe Bilder von der Unterzeichnung des Vertrags, der Verkehrsleistungen im Nahverkehr für fünf Milliarden Euro regelt. Er umfasst 40 Millionen Zugkilometer pro Jahr.
Die Grünen im Landtag sehen in dem Vertrag ein Zeichen für das Versagen der CDU in der Verkehrspolitik. Die Doppelabrechnung sei Folge von Schlampigkeit und der Willfährigkeit der Vorgängerregierung, sagte der Grünen-Abgeordnete Andreas Schwarz (Grüne). Nach Überzeugung der CDU-Verkehrsexperten Nicole Razavi versucht Hermann, «einen normalen Vorgang zwischen Vertragspartnern zu skandalisieren». Hintergrund der Diskussion seien unterschiedliche Interpretationen einer einzelnen Regelung in einem Gesamtvertrag.
Zu den Motiven der Vorgängerregierung, einen für das Land nachteiligen Verkehrsvertrag auszuhandeln, wollte Hermann sich nicht äußern. Dagegen sieht der Landesvorsitzende des Verkehrsclubs Deutschland, Matthias Lieb, einen Zusammenhang mit dem Bahnprojekt Stuttgart 21. «Wir vermuten stark, dass die damalige Landesregierung der DB entgegen gekommen ist, um Stuttgart 21 auf den Weg zu bringen.» Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sprach von einer «illegalen Subventionierung» zur Reanimation eines «scheintoten» Projektes.
Lieb, auch Vorsitzender des Fahrgastbeirates der Verkehrsministeriums, fügte hinzu: «Für die Passagiere im Südwesten ist besonders ärgerlich, dass sich in den letzten zehn Jahren die Ticketpreise um 40 Prozent erhöht haben und die Bahn zugleich das Land überdurchschnittlich zur Kasse gebeten hat.» Nach Berechnungen auf Basis eines Vergleichs mit Bayern habe die damalige baden-württembergische Landesregierung etwa eine Milliarde Euro zu viel für die vertraglichen Leistungen bezahlt. Bayern berappe heute pro Zugkilometer im Nahverkehr 7,37 Euro, Baden-Württemberg 10,12 Euro (inklusive Stuttgarter S-Bahn). (DPA/LSW)
Kommentar schreiben