
Die Bilder vom harten Polizeieinsatz gegen Gegner des Bahnprojekts Stuttgart 21 mit weit mehr als hundert Verletzten gingen um die Welt - vier Jahre danach versucht die Justiz die Verantwortung zu klären. Zwei Polizeiführern wird fahrlässige Körperverletzung im Amt vorgehalten.
Am 30. September 2010 hatte die Polizei bei der Räumung des Baufeldes für den geplanten Tiefbahnhof Stuttgart 21 zwei Wasserwerfer und Schlagstöcke gegen Projektgegner eingesetzt.
Der Wasserstrahl war so hart und auf Kopfhöhe der Demonstranten gerichtet, dass mehrere S-21-Gegner schwer verletzt wurden. Der sogenannte Schwarze Donnerstag setzte auch den damaligen CDU-Regierungschef Stefan Mappus unter Druck, er wurde wenig später abgewählt. Ob er auch als Zeuge in dem Prozess gehört wird, war noch unklar.
Während des Einsatzes hätten die angeklagten Polizisten keine Informationen über Verletzungen durch massive Wasserstöße gehabt, sagte deren Verteidiger Olaf Hohmann zum Prozessauftakt am Dienstag am Landgericht Stuttgart. Geplant, vorbereitet und geführt worden sei der Einsatz von Stuttgarts Polizeichef Siegfried Stumpf. Die Angeklagten seien sehr kurzfristig eingesetzt worden, zeitweise sei der Funkverkehr zusammengebrochen und ihr Einsatzplan habe gerade mal ein DIN-A4-Blatt umfasst. Beide Angeklagte hätten keine Verstöße der Besatzungen in den Wasserwerfern wahrgenommen. Ihnen könne nicht vorgeworfen werden, dass sie nicht eingeschritten seien.
Die Angeklagten sollen am 30. September 2010 im Stuttgarter Schlossgarten ihre Sorgfaltspflicht verletzt haben. Die Polizisten haben laut Anklage nicht eingegriffen, als die Besatzung der beiden Wasserwerfer heftige Wasserstöße auf die Demonstranten abfeuerte und diese teils am Kopf trafen. Angeordnet war laut Staatsanwaltschaft lediglich ein leichterer Wasserregen. Letztlich trafen aber Wasserstöße mit einem Riesen-Druck auf Demonstranten. Mindestens neun seien «unverhältnismäßig am Kopf getroffen worden».
Der Polizeieinsatz ging als «Schwarzer Donnerstag» in die Landesgeschichte ein. Bei der Räumung des Schlossgartens für eine Baumrodung auf dem Baufeld waren nach Angaben des Innenministeriums 130 Demonstranten und 34 Beamte verletzt worden. Projektgegner sprechen bis heute von weit höheren Zahlen.
Der Einsatz löste auch politische Querelen im Land aus. Die damalige Landesregierung von Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) wurde ein halbes Jahr später abgewählt. Heute regieren Grüne und SPD.
Der durch die Wasserwerfer verletzte Rentner Dietrich Wagner, der im Prozess als Nebenkläger auftritt, bezeichnete die Angeklagten als die «nicht wirklich Schuldigen»: «Die beiden haben die Vorgänge des 30.9. nicht ausgelöst.» Wagner war damals schwer an den Augen verletzt worden und ist seither fast erblindet. Die wahren Schuldigen sieht Wagner in der Politik.
Das sieht auch der einstige S21-Schlichter Heiner Geißler (CDU) so. «Diese Eskalation in Stuttgart war unnötig und nach meiner Auffassung auch rechtswidrig», sagte Geißler. «Man kann nur jetzt nicht einzelne Polizeibeamte dafür verantwortlich machen, was eigentlich die politische und die Polizeiführung falsch gemacht hat.»
Das Landgericht Stuttgart hat zunächst rund 30 Verhandlungstage bis zum 22. Dezember angesetzt (Az.: 18 KLs 5 Js 94858/10). Mit Spannung erwartet werden Aussagen dazu, wer die Order für das harte Vorgehen gab. Es gibt Vermutungen, dass sie aus der damaligen CDU/FDP-Landesregierung kam, womöglich von Mappus (CDU) selbst. Rechtsanwalt Mann will Mappus als Zeugen laden lassen. Die Verteidigung hingegen betonte mehrfach, dass es im Prozess nicht um eine politisch-historische Aufarbeitung der Vorfälle gehe.
Es ist der erste Prozess gegen Polizisten wegen des Wasserwerfer-Einsatzes am «Schwarzen Donnerstag». Gegen vier Polizisten - einen Staffelführer, zwei Kommandanten und einen Rohrführer der Wasserwerfer - hat das Amtsgericht Stuttgart aber schon Strafbefehle wegen fahrlässiger Körperverletzung im Amt erlassen. Außerdem befasst sich der Landtag in einem Untersuchungsausschuss mit der politischen Aufarbeitung. (DPA/LSW)
Kommentar schreiben