
Eine Mutter aus Walldorf (Rhein-Neckar-Kreis) will für ihren Sohn mit Down-Syndrom einen Platz am Gymnasium erkämpfen. Der Fall hat eine hitzige Debatte über den gemeinsamen Unterricht von geistig behinderten und nichtbehinderten Schulkindern an Gymnasien ausgelöst. Das Kultusministerium gerät zunehmend unter Druck: Die Rufe nach einer klaren Ansage von Minister Andreas Stoch (SPD) zu diesem Aspekt der Inklusion werden lauter.
Der Elfjährige als Walldorf könnte dem Unterricht geistig nicht folgen und hätte daher ein anderes Lernziel als das Abitur - es wäre einer der ersten Fälle dieser Art auf einem Südwest-Gymnasium. Die Schule lehnt es bislang ab, einen Schulversuch einzurichten, der diesen sogenannten zieldifferenzierten Unterricht zulassen würde.
Mutter Kirsten Ehrhardt möchte, dass ihr Sohn mit seinen Freunden aus der Grundschule zusammenbleibt. «Er kann das natürlich nicht auf Gymnasialniveau - er lernt das, was er lernen kann.» Ihr Sohn werde nie das Abitur machen, das sei ihr klar. «Wir möchten einfach unsere inklusive Klasse fortsetzen, hier am Ort», sagte Ehrhardt. Sie hoffe, dass der Kultusminister den Schulversuch an dem Gymnasium selbst einsetze. Stoch könne nun zeigen, dass er Inklusion tatsächlich als Aufgabe aller Schulen und Schularten ansehe.
Der Vorsitzende des Philologenverbandes Baden-Württemberg, Bernd Saur, warnt vor Schwarz-Weiß-Malerei. «Wer Einwände hat, scheint zu den Bösen zu gehören.» Er sehe das Thema skeptisch. «Der Elternwunsch ist nicht immer deckungsgleich mit dem Kindeswohl.» Schließlich spüre ein Kind mit Down-Syndrom am Gymnasium jeden Tag, dass es den Mitschülern intellektuell unterlegen sei. «Das Kind wird bewusst Misserfolgserlebnissen ausgesetzt, damit wir als Gutmenschen unser Gewissen beruhigen.» Er erwarte eine klare Stellungnahme von Minister Stoch: «Wenn ein Kind von vornherein einem Bildungsgang nicht folgen kann, befürwortet er Inklusion dann auch?»
Der Elternbeirat des Gymnasiums Walldorf betont, dass es nicht darum gehe, Inklusion an sich abzulehnen. An der Schule sei das kein neues Thema, im Gegenteil, sagte die Vorsitzende Regina Roll. Seit Jahrzehnten würden hier auch körperlich Behinderte unterrichtet, aber eben keine geistig behinderten Kinder. «Die Rahmenbedingungen dafür, dass es gelingen kann, sind noch nicht da.» Die Schulleitung will sich zu dem Thema nicht mehr öffentlich äußern.
Die Umsetzung der Inklusion brauche mehr Zeit als erwartet, kritisierte kürzlich der Landes-Behindertenbeauftragte Gerd Weimer. Der Walldorfer Fall sei «ein fatales Signal und eine große Enttäuschung für Eltern von Kindern mit Handicap».
Der örtliche Landtagsabgeordnete Kai Schmidt-Eisenlohr (Grüne) verteidigt die Walldorfer Schule. «Unser Gymnasium ist in seiner jetzigen Aufstellung einfach noch nicht so weit.» Inklusion komme in der Ausbildung der Gymnasiallehrer bislang noch überhaupt nicht vor. Inklusion um jeden Preis sei keine Lösung. «Wenn man mit Gewalt versucht, Inklusion durchzusetzen, dann würde man dem ganzen Thema schaden.» Langfristig könne der gemeinsame Unterricht mit geistig Behinderten aber auch am Gymnasium funktionieren. «Ich möchte die Gymnasien nicht aus der Verantwortung nehmen.»
Die FDP ist skeptisch. «Wenn sich alle Beteiligten von Anfang an darüber im Klaren sind, dass ein Kind das Abitur nicht erreichen kann, halte ich es für äußerst schwierig, dann die Entscheidung zu fällen, dass trotzdem ein Besuch des Gymnasiums stattfinden soll», erklärte FDP-Generalsekretär Patrick Meinhardt. «Solch eine Diskussion stellt nicht die Inklusion infrage, sondern fordert geradezu auf, eine kluge Inklusionsdebatte in unserem Land zu führen.» Hier fehlten klare Ansagen der Landesregierung.
Die Inklusion erfordert laut einem Bericht der «Stuttgarter Nachrichten» (Montag) langfristig fast 4000 neue Stellen für Lehrer und Sonderpädagogen. Das Ministerium wollte sich dazu nicht äußern. Der Berufsschullehrerverband (BLV) sprach in einer Stellungnahme von realistischen Berechnungen. Inklusion gebe es nicht zum Nulltarif, erklärte der BLV-Vorsitzende Herbert Huber. Das Land müsse nun von seinen Stellenstreichplänen Abschied nehmen. (DPA/LSW)
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