
David Cameron will einen Sonderweg in Europa gehen und so die britische Mitgliedschaft in der EU retten. Dafür braucht er mächtige Verbündete. Entsprechend groß ist die Erwartungshaltung auf der Insel, wenn am Donnerstag Kanzlerin Angela Merkel anreist. Großbritannien rollt Merkel den roten Teppich aus:
Die Kanzlerin wird nicht nur symbolträchtig von Staatsoberhaupt Queen Elizabeth II. im Buckingham-Palast empfangen - Merkel darf auch vor Ober- und Unterhaus des Parlaments im Palast von Westminster sprechen. Eine Ehre, die bisher nur drei Deutschen zuteil geworden war: 1970 Willy Brandt, 1986 Richard von Weizsäcker und 2010 Papst Benedikt XVI.
Der große Bahnhof für die wohl mächtigste Frau Europas kommt nicht von ungefähr: Großbritanniens Regierung um den konservativen Premierminister David Cameron steckt europapolitisch in der Zwickmühle und ist schwer auf der Suche nach Verbündeten. Cameron hat die Europapolitik von Beginn seiner Amtszeit im Mai 2010 an als innenpolitische Manövriermasse genutzt. Vorderstes Ziel: Die eigene Wiederwahl 2015.
Für 2017 - sollte er dann noch im Amt sein - kündigte Cameron ein Referendum über den Verbleib seines Landes in der EU an. Bis dahin braucht er Ergebnisse bei dem, was er als die «Neudefinition» des britischen Verhältnisses zur Europa bezeichnet.
Die rechte United Kingdom Independent Party (UKIP) um deren Anführer Nigel Farrage droht den Konservativen allerdings so viele Stimmen abzuknöpfen, dass es den Premier das Amt kosten kann. UKIP, für die der EU-Austritt Programm ist, wird nach Prognosen von Meinungsforschern bei der Europawahl im Mai stärkste Kraft in Großbritannien.
Im Klartext: Die Insel, ohnehin bereits mit einer ganzen Reihe von Sonderrechten bedacht, will in Europa weitere Ausnahmen - etwa bei Arbeitszeiten für Klinikpersonal, vor allem aber für die Finanzindustrie. Das in Brüssel mächtige Wort Deutschlands aus dem Mund der Kanzlerin will Cameron in diesem Kampf möglichst auf seiner Seite haben.
Offiziell gab sich Merkel vor ihrer London-Visite zurückhaltend. Ihre Rede werde ein Beitrag zur laufenden europapolitischen Debatte sein, stapelte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin tief. Dabei sind sie sich im Kanzleramt bewusst, wie hoch die Erwartungen sind. Großbritannien müsse seine Europadebatte schon selbst führen, glaubt man aber in Berlin. Weder könne Merkel die britische Stimmung zugunsten der EU drehen, noch sich der Haltung des europakritischen Cameron anschließen.
Öffentlich dürfte sich Merkel gewohnt diplomatisch äußern. Es ist nicht ihre Art, Amtskollegen öffentlich an den Pranger zu stellen. Auf der anderen Seite ist klar: nur aus Höflichkeit wird sich die Kanzlerin nicht plötzlich auf die Seite des Briten stellen, der anders als Merkel einer Vertiefung der EU-Strukturen ablehnend gegenübersteht.
Umfassende Änderungen an den EU-Verträgen sieht die Kanzlerin ohnehin skeptisch - zu lange würde das aus ihrer Sicht dauern. Und auch von einem großen Reformkonvent hält sie nichts - zu unkonkret dürften die Ergebnisse ausfallen. Die Pragmatikerin Merkel tritt da eher für eine ergebnisorientierte Herangehensweise ein. Änderungen am Vertrag soll es nicht um ihrer selbst willen geben.
Europa müsse alles tun, um seine Stellung in der Welt zu behaupten, hat Merkel immer wieder betont. Im Mai 2013 hat sie in Paris mit dem französischen Präsidenten François Hollande konkrete Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion präsentiert. Im Mittelpunkt: Mehr wirtschaftspolitische Koordinierung - aus britischer Sicht ein Teufelswerk. (DPA)
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