
Wäre Marius ein Schwein oder eine Antilope, hätte sein Schicksal keinen weltweiten Sturm der Entrüstung ausgelöst, meint der Direktor des Kopenhagener Zoos. Aber Marius, das Tier, das am Sonntag in Dänemark getötet wurde, ist ein niedlicher Giraffenjunge. Der Bulle muss sterben, weil es im Giraffengehege zu eng geworden ist. Ein Tierarzt betäubt und erschießt ihn - und tritt eine internationale Protestlawine los.
Die Emotionen kochen hoch, Promis schalten sich ein, Facebooknutzer sprechen von einem «barbarischen Akt». Zoodirektor Bengt Holst kontert: «Wir können keine Sonderregeln für Tiere einführen, die hübsch aussehen.»
Weil Inzuchtgefahr bestand, konnte Marius nicht in einen anderen Zoo im europäischen Zuchtprogramm umziehen. «Und wir schicken unsere Tiere nicht einfach irgendwo hin», sagt der Zoodirektor der Nachrichtenagentur dpa in Kopenhagen. Sie in so einem Fall zu töten, sei gängige Praxis. 20 bis 30 Mal passiere das in Kopenhagen durchschnittlich pro Jahr. «Bei Ziegen oder Wild macht sich aber niemand etwas daraus», ergänzt Holst.
Der Zoodirektor bekommt seit dem Vorfall Drohungen über Facebook, Mail und SMS. «Das ist völlig außer Kontrolle», sagt Holst. Eine Online-Petition, die seine Absetzung fordert, hatte am Dienstagnachmittag mehr als 12 500 Unterschriften. Zuvor hatten im Netz 27 000 Menschen die Rettung von Marius gefordert.
Der Tod des eineinhalb Jahre alten Tiers bewegt am Montag Promis und Medien. Eine CNN-Redaktion meldet via Twitter: «Ein dänischer Zoo tötet eine gesunde zweijährige Giraffe und verfüttert sie an Löwen. Warum?!» Der britische Komiker Ricky Gervais twittert: «Sehr enttäuscht vom Kopenhagener Zoo. Ein schönes, gesundes Tier zu zerstören, weil ihr es nicht braucht, ist einfach nicht richtig.» Und US-Schauspielerin Kirstie Alley erklärt - ebenfalls über Twitter -, sie habe den Vorfall weinend bei einem Spaziergang verdauen müssen.
In Dänemark sind die Reaktionen moderater. «Das Leben ist kein Disneyfilm», kommentiert die Zeitung «Berlingske» die Tötung am Montag. Etwa ein Dutzend Menschen protestiert am Sonntag vor dem Zoo. Peter Sandøe, Tierethiker von der Universität Kopenhagen, beklagt eine «Doppelmoral»: «Menschen neigen dazu, Tiere in Schubladen einzusortieren.» Indem man den Zootieren Namen gebe, würden sie zu einem Begleiter. «Tieren auf Bauernhöfen geben wir keine Namen.»
Der Aufschrei sei auch deshalb so groß, weil der Zoo die Tötung so offen kommuniziert habe. Die Giraffe wurde sogar vor den Augen von kleinen und großen Zoobesuchern obduziert und dann in Teilen an die Löwen verfüttert. «Das ist eine provokante Methode, weil es vielerorts nicht politisch korrekt ist», sagt Sandøe der dpa. «Viele Zoos gehen nicht offen mit der Tötung von Überschuss-Tieren um.»
Auch in Deutschland sterben Zootiere, wenn die Zucht zu gut läuft. «Vor allen Dingen im Huftierbereich verfüttern wir auch Tiere, wenn sie entweder für das Zuchtprogramm nicht gebraucht werden oder die Plätze, die zur Verfügung stehen, nicht genügen», sagt der Direktor des Tiergartens Nürnberg, Dag Encke. Der Deutsche Tierschutzbund wirft den Zoos vor, «nahezu unkontrolliert» zu züchten, «obwohl sie nicht ausreichend Platz für den Tiernachwuchs besitzen und nicht klar ist, was später mit diesem geschieht». Hätten die niedlichen Tiere ihre Rolle erfüllt, würden sie oft getötet oder verkauft.
Dass Marius' Tod so starke Reaktionen hervorgerufen habe, zeige, dass Menschen solchen Themen emotional begegneten, meint Encke. «Aber eine Giraffe zu verfüttern, ist im Grund nichts anderes, als ein Schwein zu keulen. Die Leidensfähigkeit der beiden Tiere ist identisch.» (DPA)
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