In der Debatte über Einwanderung und Sozialmissbrauch hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) die bayerischen Nachbarn heftig kritisiert. «Debatten, wie sie die CSU losgetreten hat, halte ich für höchstproblematisch», sagte Kretschmann am Dienstag. Statt populistisch vor der Einwanderung gering qualifizierter Migranten zu warnen und «Stimmungsmache» zu betreiben, müsse man «das Klima einer Willkommenkultur schaffen».
Die Mehrheit der Zuwanderer etwa aus Bulgarien sei gut ausgebildet und integriere sich.
«Als Kernland in Europa profitieren wir von der Arbeitnehmerfreizügigkeit», betonte Kretschmann in Stuttgart. Ohne die Zuwanderung von EU-Bürgern «stünde Baden-Württemberg heute nicht da, wo es ist». Wo Probleme auftauchten, müsse man sie «konstruktiv lösen». Eben dafür habe Grün-Rot vorausschauend ein eigenes Integrationsministerium gegründet.
Die zuständige Ministerin Bilkay Öney (SPD) räumte ein, dass teils prekäre Lebensverhältnisse einiger Zuwanderer aus Bulgarien oder Rumänien den lokalen Arbeits- und Wohnungsmarkt - etwa in Mannheim - sowie das kommunale Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem vor Herausforderungen stelle. Grün-Rot unterstütze neue Informationsstellen in besonders betroffenen Quartieren mit insgesamt 120 000 Euro. Freiburg bekomme 80 000 Euro. Grundsätzlich gebe es ein falsches Bild über die Zuwanderer aus Osteuropa: Gut 60 Prozent der Bulgaren und Rumänen im erwerbsfähigen Alter seien erwerbstätig. «Die Beschäftigungszahlen rechtfertigen es nicht, pauschal von einer Armutszuwanderung zu sprechen», sagte Öney.
FDP-Landeschef Michael Theurer nannte Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und Reisefreiheit «große Errungenschaften, die nicht infrage gestellt werden dürfen». Gerade vor dem Hintergrund des Arbeitskräftemangels in Deutschland sei «unsere Weltoffenheit besonders wichtig». Die aktuellen Probleme lägen nicht am EU-Recht, sondern an der mangelhaften Umsetzung. Die Kommunen dürften nicht alleine gelassen werden.
Von Kretschmanns «Willkommenskultur» sei Baden-Württemberg «noch ein gutes Stück entfernt», sagte Andreas Richter, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Region Stuttgart. So gebe es eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung, die sogenannte Niederlassungserlaubnis, bei Nicht-EU-Bürgern nur für Professoren oder Wissenschaftler mit einer Leitungsfunktion; für Familienangehörige überhaupt nicht.
«Die Arbeitnehmerfreizügigkeit macht uns keine Angst», betonte der Hauptgeschäftsführer des Baden-Württembergischen Handwerkstages (BWHT), Oskar Vogel. Jeder, der arbeiten wolle, sei im Handwerk herzlich willkommen. Die 132 000 Handwerksbetriebe im Land seien gut vorbereitet, das Handwerk setze auf Fachkräfte und die Qualität der eigenen Ausbildung. Vogel forderte aber stärkere Kontrollen, um Missbrauch zu verhindern und griff dann doch zum frisch gekürten - leicht abgewandelten - «Unwort des Jahres»: «Wir brauchen aber keine Hilfskräfte und wir wollen keinen Sozialsystem-Tourismus.» (DPA/LSW)
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