
Bücher als Weihnachtsgeschenke sind beliebt. Und mancher wird seine freien Tage zwischen den Jahren zum Schmökern nutzen. Unter den Neurescheinungen von 2013 fanden einige ein Lieblingsbuch. Sven Regeners Raver-Roman über Techno, Drogen und Liebe Von Andreas Heimann, dpa. Wiedersehen macht Freude - ganz sicher in diesem Fall: Sven Regener holt Karl Schmidt zurück.
Die Figur, die in «Herr Lehmann» in der Psychiatrie verschwand, spielt in seinem neuen Romans nun sogar die Hauptrolle. Diesmal geht Karl mit einem Haufen Raver auf Tournee quer durch Deutschland von Bremen über Köln bis München. Er fährt den Tourbus und kümmert sich auch sonst um alles, was seine partyfreudigen neuen und alten Freunde nicht gebacken bekommen. Drogen, Alkohol, Techno, Freundschaft und Liebe, Regener bringt das alles gekonnt zusammen. Großartig erzählt ist es sowieso. (Sven Regener: Magical Mystery oder Die Rückkehr des Karl Schmidt, Galiani, Berlin, 506 S., 19,99 Euro, ISBN 978-3-86971-073-0).
Jüdische Epik vom Feinsten
Von Frauke Kaberka, dpa
Der Dichter Martin Weinstock kommt nach Harvard und fühlt sich dort als Lebender unter Toten. «Weinstock unter den Sterbenden» nannte der US-amerikanische Autor Michael Blumenthal seine Satire auf den Lehrbetrieb an einer Elite-Universität und das Porträt eines Mannes, der sich schon fast aufgegeben hatte. Es ist jüdische Epik vom Feinsten und keinesfalls ein trostloses Buch, wie der Titel vermuten lassen könnte. Das ganze Buch ist durchdrungen von einem eigenwilligen Humor mit prächtigen satirischen bis sarkastischen Spitzen und einer stressresistenten Selbstironie, die schon wieder etwas Narzisstisches hat. (Michael C. Blumenthal: Weinstock unter den Sterbenden, VAT Verlag André Thiele, Mainz 412 S., 19,90 Euro, ISBN 978-3- 940-88483-1)
«Liebes Leben»: Das letzte kleine Buch einer großen Erzählerin
Von Christina Horsten, dpa
Ein Geheimtipp ist Alice Munro seit diesem Jahr natürlich nicht mehr, schließlich hat die Kanadierin den Literaturnobelpreis und damit die Aufmerksamkeit der Welt bekommen. Aber ihre Kurzgeschichten sind nach wie vor betörend - schlicht und einfach in Sprache und Form, dafür umso effektiver in der emotionalen Sogwirkung. «Liebes Leben», dessen Erscheinung in Deutschland gerade vorgezogen wurde, eignet sich bestens, um Munro zu entdecken oder einfach nur wieder zu lesen - in der Hoffnung, dass es - anders als von ihr angekündigt - nicht die letzte Kurzgeschichtensammlung der 82-Jährigen bleibt. (Alice Munro: Liebes Leben. Fischer Verlage, 368 Seiten, 21,99 Euro, ISBN 9783100488329)
3D-Bilderbuch: Jim Curious erforscht die Tiefsee
Von Elke Vogel, dpa
Für Kinder und alle jung gebliebenen Abenteurer: Buch aufschlagen, die beigelegte 3D-Brille aufsetzen und schon geht die «Reise in die Tiefen des Ozeans» los. Jim Curious heißt der Bilderbuchheld des französischen Künstlers Matthias Picard. In einem herrlich altmodischen Taucheranzug steigt der neugierige Jim die Leiter ins Hafenbecken hinab und gleich knapp unter der Wasseroberfläche begegnet ihm mit einer feingliedrigen Qualle das erste faszinierende Wesen. In Schwarz-Weiß lässt Picard die geheimnisvolle Tiefseewelt mit dem am Computer animierten 3D-Effekt erstehen. (Matthias Picard: Jim Curious. Reise in die Tiefen des Ozeans, Reprodukt Verlag, Berlin, 52 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-943143-45-4)
Arturo Pérez-Reverte: «Dreimal im Leben»
Von Sibylle Peine, dpa
Arturo Pérez-Reverte hat einen wunderbar nostalgischen Roman über den Tango, die Liebe und die Vergänglichkeit geschrieben. «Dreimal im Leben» versetzt uns zurück in die Zeit der charmanten Gigolos. Max Costa ist solch ein Eintänzer auf einem Luxusliner. Auf der Fahrt nach Südamerika lernt der smarte Filou die schöne und reiche Mecha Inzunza kennen. In Buenos Aries macht Costa die elegante Gesellschaftsdame mit dem rauen Tango der Vorstädte bekannt. Es entwickelt sich eine Liebe fürs Leben, die mühelos Räume und Zeiten zu überbrücken weiß. Der Roman erinnert an alte Filmklassiker mit mondänen Gentlemandieben wie Gary Grant in «Über den Dächern von Nizza», elegant, geschliffen und auch ein bisschen wehmütig. (Arturo Pérez-Reverte: Dreimal im Leben. Insel Verlag, Berlin, 525 Seiten, 22,95 Euro, ISBN 978-3458175803)
Kinderaugen sehen ein Afrika fern der Klischees
Von Roland Siegloff, dpa
Michel staunt, begreift, wundert sich, versteht - manchmal auch falsch. Der Junge schaut auf das Leben seiner Eltern, seiner Halbgeschwister, der Nachbarn. Es ist das alltägliche Leben, der ganz normale Wahnsinn in Kongo-Brazzaville Ende der 1970er Jahre. Der frankophone Autor Alain Mabanckou erzählt diese Geschichten aus dem Blickwinkel des kleinen Michel - ein herrlicher Kunstgriff, weil damit nicht Afrika exotisch erscheint, sondern die Welt der Erwachsenen. «Demain j'aurai vingt ans» (Morgen werde ich zwanzig) soll 2015 auf Deutsch im Verlag Liebeskind erscheinen - da bleibt noch Zeit, zuvor seine schon übersetzten Romane «Black Bazar», «Stachelschweins Memoiren» und «Zerbrochenes Glas» zu entdecken. (Alain Mabanckou: Demain j'aurai vingt ans, Gallimard Edition folio, Paris, 401 Seiten, 7,20 Euro, ISBN 978-2-07-044623-0)
Dan Browns «Inferno»: Robert Langdon und der Gen-Terrorist
Von Steffen Trumpf, dpa
Dan Brown hat seinen Romanhelden Robert Langdon schon Verschwörungen um legendäre Kunstwerke aufdecken und Geheimbünde aushebeln lassen. In «Inferno», einem der Verkaufsschlager dieses Jahres, begegnen dem Symbolforscher diesmal tagesaktuelle Gefahren wie Gen-Terrorismus, Drohnen und Tablet-Computer. Langdon muss sich nicht nur um sein Leben und die geliebte Micky-Maus-Uhr sorgen, sondern gleichzeitig einen Mythos um das Dante-Meisterwerk «Göttliche Komödie» lösen, um einen Großteil der Menschheit zu retten. In klassischer Brown-Manier kämpft sich Langdon durch geschichtsträchtige Städte, unterirdische Gänge und geheime Botschaften auf mittelalterlichen Kunstwerken - diesmal wieder in Europa, wo bereits die Mega-Bestseller «Sakrileg» und «Illuminati» spielten. Ein Wälzer für die Zeit zwischen den Jahren. (Dan Brown: Inferno, Verlag Bastei Lübbe, Köln, 685 Seiten, 26,00 Euro, ISBN 978-3-7857-2480-4)
Sachbuch des Jahres: «Die Schlafwandler» von Christopher Clark
Von Esteban Engel, dpa
Mit dem Rummel hatte der Geschichtsprofessor aus Cambridge wohl nicht gerechnet: Seit Monaten steht Christopher Clarks Buch über den Ersten Weltkrieg auf Platz eins Bestsellerlisten. «Die Schlafwandler» - die Geschichte, wie sich Europa in die Katastrophe von 1914 stürzte, erwies sich als Überraschungserfolg auf dem Buchmarkt. Der 900-Seiten-Wälzer zeichnet nach, wie Größenwahn, Naivität und Sorglosigkeit von Monarchen, Staatsmännern und Militärs den ersten globalen Krieg auslösten. Zwar widerspricht Clark immer wieder dem Eindruck, er habe die These von Deutschlands Alleinschuld am Krieg relativieren wollen. Doch deutlich wird bei der Lektüre, dass der Krieg nicht nur von deutscher Großmannssucht ausgelöst wurde. (Christopher Clark: Die Schlafwandler - Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog, DVA, 39,99 Euro, 896 Seiten, ISBN-13 978-3421043597)
Tief erschütternd - «Seconhand-Zeit»
Von Marion Thunemann, dpa
Lieblingsbuch kann es hier nicht treffen - es ist eines der wichtigsten Bücher des Jahres: Die weißrussische Autorin und Regimekritikerin Swetlana Alexijewitsch erhielt für «Secondhand-Zeit» den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Sie dokumentiert darin die tief erschütterte Gefühlswelt der Menschen in der ehemaligen Sowjetunion, im jetzigen Russland und in anderen Ländern der ehemaligen Föderation. Es ist ein Muss für all jene, die sich der vielbeschriebenen russischen Seele sowie Geschichte und Gegenwarte dieses Riesenreiches nähern wollen. Ein ergreifendes Buch, das zugleich um Verständnis wirbt. (Swetlana Alexijewitsch: Secondhand-Zeit, Leben auf den Trümmern des Sozialismus, Hanser, Berlin, 576 Seiten, 27,90 Euro, ISBN 978-3-446-24150-3)
Brigitte Kronauer: «Gewäsch und Gewimmel»
Von Johannes von der Gathen, dpa
Wie schön: Mit diesem Roman kann man lange unterwegs sein, flanieren durch die buntgescheckten Befindlichkeiten einer ganzen Horde von «vielfach und variantenreich verbogener Zeitgenossen». Und der verschlungene Weg durch das wild wuchernde Seelen-Gestrüpp führt direkt ins Herz unserer schreiend dissonanten Gegenwart. Brigitte Kronauer nimmt keine falschen Rücksichten und belohnt uns mit einem hellwachen Wimmel-Wälzer, der lange nachhallt. Für Leser mit Ausdauer. (Brigitte Kronauer, Gewäsch und Gewimmel, Klett-Cotta Verlag Stuttgart, 615 Seiten, ISBN: 978-3-608-98006-6)
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