Versteckte Gedankenspiele um eine große Koalition

Der FDP-Generalsekretär Patrick Döring Foto: Bernd von Jutrczenka/Archiv
Der FDP-Generalsekretär Patrick Döring Foto: Bernd von Jutrczenka/Archiv

Die Kanzlerin schließt eine große Koalition mit der SPD nach der Wahl am 22. September nicht aus. Wie könnte dies Angela Merkel angesichts schwankender Umfragewerte für Schwarz-Gelb auch tun? Und überhaupt: Wo sie doch schon einmal vier Jahre lang erfolgreich eine Koalition von Union und SPD geführt hat. CSU-Chef Horst Seehofer wird konkreter. Ohne das Ziel der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs will er keinen neuen Koalitionsvertrag unterschreiben, versicherte der bayerische Ministerpräsident. 

Aber wie will Seehofer das in der Praxis umsetzen? Etwa mit einer hauchdünnen schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag - bei gleichzeitiger rot-grüner Dominanz im für dieses Vorhaben benötigten Bundesrat? Die Kanzlerin baute am Sonntag im ZDF auch gleich vor: Der Länderfinanzausgleich sei «erst mal Sache der Länder» - auch wenn es bei dem Thema derzeit Ungerechtigkeiten gebe.

 

Äußerungen von CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder über ein «100-Tage-Sofortprogramm» nach der Bundestagswahl deuten allerdings auch darauf hin, dass der Unions-Frontmann eher eine große Koalition im Blick hat als die Fortsetzung von Schwarz-Gelb. Wie will Kauder sonst die «kalte Progression im Steuerrecht» abmildern - ohne den gemeinsamen Segen von Rot-Grün im Bundesrat? Schon einmal ist Schwarz-Gelb daran gescheitert. Oder wie soll der von Kauder versprochene Milliarden-Kraftakt zur Reform der Mütterrente gelingen - ohne starken Koalitionspartner im Bundestag?

 

«Eine große Koalition strebt nun wirklich niemand an», versichert Merkel. Das muss sie auch. Denn Spekulationen über ein solches Bündnis von Union und SPD sind den Wahlstrategen aller Parteien zunächst mal ein Graus. Neben der Demotivation der eigenen Mitglieder im Wahlkampf fürchtet man zudem bei der Union ein Abdriften von Wählergruppen zugunsten der FDP. Deren Generalsekretär Patrick Döring mahnt prompt: «Wer die Fortsetzung von Schwarz-Gelb will, muss FDP wählen.» Merkel versicherte dann am Sonntag zugleich, dass sie auch bei einem knappen Wahlausgang die Koalition mit der FDP fortsetzen möchte.

 

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hat für seine Person das Thema große Koalition gelöst. Er will ausschließlich als Kanzler einer künftigen Regierung angehören - und nicht als Vize-Regierungschef. Doch für seine Partei ist damit die leidige Koalitionsfrage noch lange nicht vom Tisch. SPD-Politiker aus der zweiten Reihe mahnen «dringend vor Ausschließeritis». «Wir können unseren Wählern nicht sagen, wenn Rot-Grün nicht klappt, gehen wir auf jeden Fall in die Opposition», sagt etwa der hessische SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Roth.

 

Anders als bei den Wahlstrategen der Parteien stößt eine große Koalition in der Bevölkerung laut Umfragen auf einige Sympathie. Und auch Ökonomen sagen, dass Deutschland in der Wirtschaftskrise 2008 mit dem Zweckbündnis von Union und SPD im internationalem Vergleich doch nicht schlecht gefahren sei. Einige sprechen rückblickend sogar von einem «Glücksfall».

 

Auf die neue Bundesregierung kommen riesige Aufgaben zu: Die Euro-Krise ist noch nicht ausgestanden. Vor dem Hintergrund der Schuldengrenze wird die Neuordnung des Länderfinanzausgleichs eine Herkules-Arbeit. Bei der Energiewende muss nachgebessert werden. Unbestreitbar Handlungsbedarf gibt es auch bei der Rente, bei den Niedriglöhnen und der Pflege.

 

In der Bildung müssen die verkorkste Föderalismusreform von 2006 revidiert und das Kooperationsverbot von Bund und Ländern zumindest gelockert werden. Dazu bedarf es einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag wie Bundesrat. Die Grundfinanzierung der Hochschulen ist neu zu regeln. Der Ausbau der Ganztagsschulen muss finanziert werden. Bildungspolitiker aller Parteien liebäugeln schon mit einem Gesamtlösungspaket, bei dem es um ganz viele Milliarden Euro geht.

 

Egal wie die Wahl ausgeht, wer auch immer die neue Regierung in Berlin stellt: Sicher ist, dass Rot und Grün über den Bundesrat in den nächsten beiden Jahren bei allen notwendigen Reformprojekten ein wichtiges Wort mitsprechen werden. Schaut man in den Terminkalender für die nächsten Landtagswahlen, so gilt diese Mehrheit zumindest bis ins Jahr 2016 hinein als relativ sicher.

 

Eine Koalition von Union und SPD im Bundestag (oder auch von Union und Grünen) bedeutet zwar nicht gleich, dass dann alle Reformprojekte automatisch und ohne Widerspruch in der Länderkammer durchgewunken werden. Vor allem eine große Koalition würde aber Problemlösungen erheblich erleichtern, weil die Ministerpräsidenten der Länder über ihre jeweiligen Parteiführungen in den Diskussionsprozess einbezogen wären. (DPA)

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