Löws Defensiv-Dilemma: Skepsis wächst

Joachim Löw sah erneut eine wacklige Abwehrarbeit seines Teams. Foto: Boris Roessler
Joachim Löw sah erneut eine wacklige Abwehrarbeit seines Teams. Foto: Boris Roessler

Das darf gegen Österreich nicht passieren - und bei der WM schon gar nicht! Deutschlands Starkicker bekamen die Defensivprobleme auch gegen Paraguay nicht in den Griff. Nach der erneuten Wackelpartie gegen die Südamerikaner mit diesmal drei Gegentoren wächst langsam die Skepsis, ob Joachim Löw in den verbleibenden 300 Tagen bis zum Start der Titelmission in Brasilien seinem Team auch ein WM-taugliches Verteidigungskonzept verpassen kann.

«Klar haben wir schon zu oft nicht zu null gespielt. Wir müssen das wieder lernen», forderte ein beunruhigter Nationalkeeper Manuel Neuer nach dem 3:3 gegen den Weltranglisten-48. aus Südamerika.

 

«Natürlich gibt es Dinge, bei denen man gesehen hat, dass sie nicht funktioniert haben», räumte der Bundestrainer nach dem ersten Saisonspiel ein. Doch einen Grund zur Beunruhigung sieht Löw trotz elf Gegentoren in sechs Spielen des Jahres 2013 nicht einmal im Ansatz. «Wir werden uns damit in den nächsten Wochen beschäftigen im Trainerstab. Und wir werden die Dinge mit Sicherheit verbessern im Hinblick auf die nächsten beiden Spiele», verkündete der DFB-Chefcoach beim Abschied aus Kaiserslautern. Schon für den 6. September, wenn es in München zum prestigeträchtigen Nachbarschaftsduell gegen Österreich kommt, versprach Löw Besserung.

 

Im mit 47 522 Fans ausverkauften Fritz-Walter-Stadion hatte Löw noch laut fluchend und wild gestikulierend das erneute Schwimmfestival in Deutschlands Defensive verfolgt. Später verhinderten zumindest die unfreiwillige Einwechslung von Lars Bender, der den am Rücken verletzten Ilkay Gündogan sehr gut ersetzte, und mehr Konzentration die ganz große Blamage zu Beginn der WM-Saison. Der ernüchternde Gesamteindruck aber war nach zwei Gegentoren schon nach 13 Minuten und einem weiteren «elementaren Fehler» (Löw) nicht mehr zu korrigieren. Schneller war das DFB-Team zuletzt im März 2006 beim 1:4 in Florenz gegen Italien unter die Räder gekommen.

 

«Wir haben gesehen, dass wir zwei, drei Dinge im taktischen Bereich falsch gemacht haben», bemerkte Löw nach einer Vorstellung, die weit mehr Fragen als Antworten brachte. Vier Gegentreffer gegen Schweden, vier gegen die USA, jetzt wieder drei in Kaiserslautern: Das Defensiv-Dilemma hält an. «Vielleicht müssen wir uns in den entscheidenden Situationen auch mal fallen lassen, uns nicht ständig gezwungen fühlen, immer so hoch zu stehen», riet Abwehrmann Per Mertesacker zu einer Korrektur: «Da fehlt uns noch ein bisschen die Balance.»

 

Löw («Ich liebe es über alles, offensiv zu spielen») sieht die Gründe für die Schieflage eher in anderen Bereichen. «Im Mittelfeld sind wir zum Teil zu weit zurückgewichen. Paraguay darf nicht in aller Ruhe den Ball annehmen», analysierte der 53-Jährige. Zudem dürften sich die Abwehrspieler den Ball nicht in den Rücken spielen lassen, «da spekuliere ich nicht.» Jose Nunez, Wilson Pittoni und Miguel Samudio nutzten die Fehler ohne Pardon. «Es ist eine große Freude, gerade gegen eine der großen Nationalmannschaften drei Tore zu schießen», jubelte Paraguays neuer Trainer Victor Genes.

 

Zumindest darf Löw als positive Erkenntnis in die vier abschließenden WM-Ausscheidungsspiele mitnehmen, dass die eigene Tormaschinerie auch nach zweimaligen Rückstand funktionierte. Ilkay Gündogan, Thomas Müller und Lars Bender sorgten zumindest für das Remis, während Miroslav Klose den Tore-Rekord von Gerd Müller erfolglos jagte. «Dadurch, dass wir zurückgekommen sind, hat man gesehen, dass wir einen Arsch in der Hose haben», betonte Neuer. Richtig aufmuntern konnte den Münchner aber auch das nicht: «Das Einzige, was okay war, ist, dass es kein wichtiges Spiel war.»

 

Die Korrekturen im Teamgefüge sind offenbar schwieriger, als der Bundestrainer und sein Personal das annehmen. «Wenn man nur zweimal trainiert, ist es schwer», sagte Kapitän Philipp Lahm: «Vor dem nächsten Länderspiel haben wir ein paar Tage Zeit. Wenn die Spieler aus verschiedenen Vereinen kommen, wo die Philosophien etwas unterschiedlich sind, ist es ganz normal, dass wir es verbessern müssen.»

 

Gegen Österreich und auf den Färöer im kommenden Monat können Lahm & Co. die WM-Tickets schon fest buchen, wenn auch die Konkurrenz ein wenig mitspielt. Doch der Maßstab ist schon jetzt die absolute Weltspitze. Mit einem Defensiv-Verhalten wie gegen Paraguay oder jüngst gegen die USA (3:4) können Löw und seine Spieler im Sommer 2014 schnell ein Debakel erleben.

 

«Das muss man abstellen, wenn man ganz nach oben will», sagte Lukas Podolski: «Man muss vorne die Dinger machen und hinten möglichst wenig kassieren, um am Ende das Ziel zu haben, in Brasilien den Titel zu holen. Daran werden wir arbeiten.» Löw kündigte zunächst eine Aufarbeitung des ersten Saisonspiels an: «Man hat gesehen, dass bei dem einen oder anderen Spieler ein bisschen die Frische gefehlt hat. Ich bin absolut überzeugt, dass die Mannschaft und jeder Einzelne im September verbesserte Form zeigt.» (DPA)

Kommentar schreiben

Kommentare: 0