
Gigantengipfel, Jahrhundertduell, Endspiel «für die Ewigkeit»: Wochenlang fieberte die Fußball-Nation dem ersten deutschen Finale der Champions League zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern entgegen, jetzt steht in der Kultstätte Wembley endlich der Tag der Krönung an. Im dritten Anlauf will die Bayern-Generation Schweinsteiger/Lahm die Sehnsucht nach einem internationalen Titel stillen, aber auch die Dortmunder Gier ist riesengroß. «Wembley wird einer der größten Momente in unserem Leben. Wir haben ganz viel zu gewinnen, weniger zu verlieren.
Jetzt ist die Zeit gekommen, Träume zu erfüllen», frohlockte BVB-Coach Jürgen Klopp. Für den FC Bayern soll sich nach dem Final-Schock aus dem Vorjahr und einer Saison der Superlative der Kreis des Erfolges schließen.
«Letztes Jahr hat eine englische Mannschaft in München gewonnen, dieses Mal hoffe ich, dass eine Münchner Mannschaft in England gewinnt», verwies Münchens Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge auf die jüngste und mit dem Elfmeterdrama so schockierende Historie. Bayern muss, Dortmund kann: Wenn nicht jetzt, wann dann soll der zweite Münchner Champions-League-Triumph nach 2001 her? «Vielleicht ist der Fußball-Gott mit uns», sagte Coach Jupp Heynckes.
16 Jahre nach dem denkwürdigen Sieg der Borussia spüren auch die Schwarz-Gelben wieder einen Hauch von Geschichte. «Es wird darum gehen, etwas für die Ewigkeit zu schaffen», erklärte Innenverteidiger Neven Subotic und freute sich auf den «Kindheitstraum». Wer darf Samstagnacht die 107 Stufen zur königlichen Loge hinaufschreiten und dort den 8,5 Kilogramm schweren Henkelpott im Konfettiregen in den Abendhimmel recken?
86 000 Zuschauer werden an jenem mystischen Ort, an dem der ehemalige BVB-Torhüter Hans Tilkowski im WM-Endspiel von 1966 das wohl berühmteste Tor der Fußball-Geschichte kassierte, dabei sein. In der Heimat fiebern Hunderttausende beim Public Viewing mit, weltweit werden mehr als 300 Millionen an den TV-Bildschirmen erwartet. «Ich bin unglaublich gespannt, auch angespannt und ein bisschen nervös», betonte Bundestrainer Joachim Löw, der das Finale mit vielen DFB-Stars in den USA bei der Länderspielreise verfolgen wird.
«Es ist ein besonderes Highlight für unseren Fußball, zwei deutsche Mannschaften im Finale der Champions League - das verursacht bei mir ein Kribbeln», sagte Löw. Auch Bayern-Kapitän Philipp Lahm meinte: «Das Kribbeln wird größer sein als bei jedem anderen Spiel.» Dietmar Hamann, 2005 mit dem FC Liverpool letzter deutscher Champions-League-Sieger, erwartet ein «Fußballfest».
Der Rucksack zweier Final-Niederlagen soll beim FC Bayern nicht so schwer wiegen wie der unerschütterliche Glaube an die eigene Stärke nach einer bisherigen Fabelspielzeit. «Die Mannschaft ist in diesem Jahr sehr stabil, hat total fantastischen Fußball gespielt», hob Rummenigge hervor. 11:0 in den vergangenen vier Königsklassen-Spielen gegen Barcelona und Turin, 25 Punkte vor Dortmund in der Liga - dazu ein 1:0-Sieg im Pokal-Viertelfinale gegen den BVB, nachdem Präsident Uli Hoeneß «die Machtverhältnisse im deutschen Fußball» schon zurechtgerückt wähnte. «Ich weiß, welche Stärke wir haben», tönte Bastian Schweinsteiger. Auch Jupp Heynckes glaubt an einen perfekten Tag: «Wir sind so gut drauf!» Es wäre sein zweiter Sieg nach 1998.
Wie 1997 wollen die Dortmunder auch ohne ihren verletzten Star Mario Götze zum zweiten Mal den europäischen Fußball-Thron besteigen. Wie schon damals gegen Juventus Turin gelten sie auch diesmal als Außenseiter. «Es gibt einige Parallelen zu 1997», sagte Sebastian Kehl. Der Abstand der Bayern in der abgeschlossenen Bundesliga-Saison taugt nach Einschätzung des Kapitäns nicht als Gradmesser für einen Vergleich zwischen beiden Teams: «Wir haben eine Spielweise, die den Bayern wehtun kann.»
Auch Klopp traut seiner Elf als Außenseiter den Sieg zu: «Das ist schon öfter passiert im Fußball. Wir wären nicht die ersten.» Der Druck liege auf den Bayern. «Wenn man als Außenseiter genauso viel Druck verspüren würde, wie der Favorit, wie blöd wäre das denn», ergänzte der BVB-Coach.
Nach zwei Meisterschaften und einem Pokalsieg in den vergangenen Jahren bietet sich der noch 2005 von der Insolvenz bedrohten Borussia die Chance auf das bisher größte Fußball-Wunder. Gala-Vorstellungen auf internationaler Bühne machen dem Revierclub Hoffnung. «Dortmund ist ein Verein, der Titel gewinnen kann und das auch schon bewiesen hat - deshalb sind wir auch nicht chancenlos», ergänzte Klopp.
Ein «sehr intensives» Spiel sagt der finalerfahrene Schweinsteiger voraus: «Da wird bis zur letzten Minute gekämpft.» Die Grenzen des Erlaubten sollen unter vielen Nationalmannschaftskollegen aber nicht überschritten werden. Aber wie sieht es am Spielfeldrand aus, wo sich unlängst Bayern-Sportvorstand Matthias Sammer und Klopp in die Wolle bekamen? «Ich glaube nicht, dass beide Mannschaften extrem emotional spielen werden», mutmaßte Schweinsteiger, der im Vorjahr mit seinem verschossenen Elfmeter zur Symbolfigur des Münchner Scheiterns wurde.
In diesem Jahr übte das Team sogar Strafstöße, auch wenn Trainer Heynckes auf der Abschlusspressekonferenz mit Verweis auf den Druck im Finale betonte: «Elfmeter kann man nicht simulieren.» Dass sich die Situation von 2012 wiederholen könnte, als sich kaum willige Elfmeterschützen fanden, glaubt Thomas Müller nicht: «Ich habe nicht das Gefühl, dass irgendjemand da sich in die Hosen scheißt.» Er gehe das Match «wie ein ganz normales Champions-League-Spiel an».
Auch in der durch das Götze-Aus getrübten Dortmunder Vorbereitung wurde nichts dem Zufall überlassen. Zur Einstimmung seiner Profis auf Wembley wird sich Fußball-Lehrer Klopp etwas Besonderes einfallen lassen. «Wenn angepfiffen wird, werden die Jungs alles für möglich halten - im positivsten Sinn», versicherte der Motivationskünstler. In der Bundesliga gab es im Duell der Finalisten zuletzt zwei Unentschieden, im nationalen Pokal eine 0:1-Niederlage für die Borussia. «Wir hatten in all diesen Spielen Momente, in denen wir den Bayern richtig Probleme bereitet haben. Daran orientieren wir uns.»
Auch die Prominenz blickt gespannt auf den Anpfiff im Wembleystadion. «Ich wette auf Bayern München - 2:0», erklärte Englands Prinz William einen Tag vor dem Finale. Und das Duell zweier deutscher Teams dort sorgte auch für einen sympathischen Versprecher. In London fände «das DFB-Pokalfinale - ähh, das Champions-League-Finale statt», sagte UEFA-Präsident Michel Platini.
Gewinner ist seit langem der deutsche Fußball. «Das wichtigste aus Bundesligasicht ist, dass eine deutsche Mannschaft die Champions League gewinnt», erklärte Rummenigge. «Klarerweise hoffen wir, dass das Bayern München ist.» Champions-League-Sieger wollen sie natürlich noch werden, finanzielle Gewinner sind die deutschen Finalisten schon jetzt. Jede Menge Lob und Sympathien gab es international für den deutschen Fußball - und auch die Konten der Endspielteilnehmer bekamen reichlich Zuwachs. Beide haben jeweils 70 Millionen Euro sicher, der Sieger bekommt 10,5 Millionen Euro. (DPA)
Kommentar schreiben