
Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) stünde nach Einschätzung des Wissenschaftlers Frank Brettschneider in seiner Bundespartei eigentlich eine größere Rolle zu. Die Parteivorsitzende Claudia Roth und Fraktionschef Jürgen Trittin täten aber offenbar alles, um Kretschmanns Einfluss nicht zu groß werden zu lassen und Baden-Württemberg nicht als Modell für die Bundesgrünen anzusehen. «Auf Bundesebene geht Kretschmann unter», sagte der Kommunikationsprofessor der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart.
Trittin und Roth werden dem linken Lager zugerechnet, während Kretschmann als konservativer Grüner auftritt.
Brettschneider bezog sich dabei auch auf den Parteitag der Grünen Ende April. Kretschmann hatte gewarnt, Bürger und Wirtschaft nicht mit Steuererhöhungen zu überfordern. Zwar erreichte er Änderungen im Grünen-Wahlkampfprogramm. Jedoch monieren Kritiker, dass die Bundesparte mit den Steuer- und Finanzbeschlüssen insgesamt weit nach links gerückt sei.
Kretschmann, der am 17. Mai 65 Jahre alt wird, erschließe Wähler bis in bürgerliche Schichten hinein und habe die Option vor Augen, mit der CDU zu koalieren. «Das wird auf Bundesebene nicht gewünscht», meinte Brettschneider. Kretschmann sei auch ein anderer Typ von Politiker als die, die im Wahlkampf an vorderster Front stünden. «Trittin und Roth fühlen sich in Talkshows wohl. Kretschmann fühlt sich in Talkshows sichtbar nicht wohl», sagte Brettschneider. Kretschmann komme im Gespräch zu zweit authentisch und natürlich rüber. Da könne er nachdenken und werde nicht ständig unterbrochen. «Aber in Diskussionsrunden mit anderen zieht er den Kürzeren.»
Für Brettschneider hat der Regierungschef somit eine Schwäche im Bereich Führungsqualitäten. Es überwögen aber Kretschmanns Stärken, darunter Bodenständigkeit, Gelassenheit, Bescheidenheit und Integrität. Dass Kretschmann im Januar angekündigt habe, zur Landtagswahl 2016 wieder als Grünen-Spitzenkandidat ins Rennen zu gehen, sei für die Grünen in Baden-Württemberg großes Glück. «Für sie könnte es nicht besser sein.» Für die Opposition sei dies aber der denkbar schlechteste Fall. «Die FDP versucht, dem Landesvater-Image Kratzer zu versetzen. Das ist ihr bislang nicht gut gelungen.»
Was könnten die Gründe für Kretschmann sein, 2016 noch einmal anzutreten? Der Kommunikationswissenschaftler vermutet, dass dies vor allem die Erkenntnis ist, dass es länger als eine Legislaturperiode braucht, um große politische Themen umzusetzen. (DPA/LSW)
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