Entzaubernd: Alan Poseners Kennedy-Biographie

John F. Kennedy 1963 in Berlin. Foto: dpa
John F. Kennedy 1963 in Berlin. Foto: dpa

Im März 1963 besuchte John F. Kennedy den Soldatenfriedhof in Arlington. Der Platz sei «so überwältigend, hier könnte ich auch für immer blieben». Nur ein halbes Jahr später wurde der zweitjüngste Präsident, den die USA je hatten, dort zu Grabe getragen. Die Legenden um ihn hatten, sorgfältig inszeniert, schon vorher begonnen, aber sie halten bis heute. Der Journalist Alan Posener unternimmt nun, ein halbes Jahrhundert nach Kennedys Tod, einen weiteren Versuch der, nicht respektlosen, Entzauberung. Neu ist in seinem Buch nichts, lesenswert ist die kurze Biographie trotzdem.

 

Kennedys Amtsantritt im Januar 1961 war zweifelsohne eine Zeitenwende. Neben seinem Vorgänger, Ex-General Dwight Eisenhower, sahen Kennedy und seine bezaubernde Frau Jacqueline aus wie das frischverheiratete elegante Paar neben den Großeltern. Statt Diplomaten und Politiker prägten nun Intellektuelle das Weiße Haus, Dichter und Musiker, Denker und Visionäre.

 

Aber war das denn so viel besser, fragt Posener. Er verweist darauf, dass ein Harvard-Professor nicht unbedingt die Probleme der Weltpolitik besser lösen kann als ein erfahrener Politiker. Und war nicht alles sorgsam inszeniert beim Mythos vom Weißen Haus als Märchenschloss Camelot - der freilich erst nach Kennedys Tod begann.

 

Dabei gelang es «JFK», sich als Präsident (fast) aller Amerikaner zu geben. Der Millionärssohn, der nie im Leben Bus gefahren war, stellte sich als Kämpfer für die Gewerkschaften hin. Der engagierte Antikommunist verkaufte sich als links und liberal. Nur dem schwarzen Zehntel der Amerikaner schenkte er anfangs wenig Aufmerksamkeit.

 

Das änderte sich jedoch in seiner Präsidentschaft, als er die Bürgerrechtsbewegung zur Chefsache machte. Bei den Weißen verlor er so Millionen Wähler. Doch die Schwarzen kehrten sich von den Republikanern, der Partei des Sklavenbefreiers Abraham Lincoln ab, und wählen seitdem die Demokraten, die ein Jahrhundert lang mit kaum kaschierten Rassismus den Süden beherrscht hatten.

 

Posener beschreibt, was Kennedy für ein Trickser war. Wie bei seiner ersten Wahl ein Namensvetter des Gegenkandidaten zur Kandidatur überredet wurde, damit da plötzlich zwei «Joe Russos» standen - und der verwirrte Wähler nicht wusste, wo er sein Kreuz machen sollte. Oder wie er Öffentlichkeit, Kollegen und Freunde über seine marode Gesundheit belog. Und dass ihm so ziemlich jedes Mittel recht war, um Frauen ins Bett zu bekommen - einschließlich der Ostdeutschen Ellen Rometsch, die einige der Spionage verdächtigen.

 

Wie konnte dann der Mythos des strahlenden, kraftstrotzenden Helden entstehen, obwohl Kennedy gesundheitlich ein Wrack war und seine Liebe zuerst sich selbst galt? Posener beschreibt, wie Presse und Prominente damals handzahm waren, in der Hoffnung, etwas Glamour abzubekommen. Dinge, die andere Präsidenten das Amt oder zumindest Ansehen gekostet hätten, wurden verschwiegen oder in markante Charakterzüge und eine eben besondere Individualität umgedeutet. Und Jack und Jacky waren es in erster Linie selbst, die peinlich genau auf ihr Bild in der Öffentlichkeit bedacht waren.

 

Aber vor allem war es der frühe Tod - und seine Umstände - die aus Kennedy eine Legende machten. Noch heute glauben Millionen an eine Verschwörung, obwohl wenige Verbrechen so klar erwiesen sind wie der Mord des Lee Harvey Oswald an John Fitzgerald Kennedy am 22. November 1963 in Dallas, Texas. Aber viele wollen einfach nicht Glauben, dass die Lichtgestalt der Nachkriegszeit - und mit ihr der Traum einer ganzen Generation - von einem Verlierer mit einem Billiggewehr aus dem Versandhaus ausgelöscht wurde.

 

Ohne Frage, Kennedy war ein großer Politiker und ein prägender Präsident. So liest sich auch Poseners Biographie, die nichts Neues enthält, aber auf nicht einmal 200 Seiten einen Mann und seine Legende gut zusammenfasst. Es ist, wieder einmal, der Versuch einer Entzauberung. Aber wie sagte Kennedy selbst eineinhalb Jahre vor seinem Tod vor Yale-Studenten: «Der größte Feind der Wahrheit ist oft nicht die Lüge - willkürlich, verlogen und unredlich. Es ist der Mythos - beharrlich, überzeugend und unrealistisch.» (DPA)

 

Alan Posener: John F. Kennedy: Biographie, Rowohlt-Verlag, Reinbek, 200 Seiten, EUR 18,95, ISBN-13: 978-3498053130

 

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